„Aufgeben ist nicht meine Sache“

ST831155-webDie deutsche Schlaganfallhilfe startet anlässlich ihres 20jährigen Bestehens eine Aufklärungskampagne unter dem Motto “Schlaganfall kann jeden treffen!”. Genau diese Erfahrung musste der Manager Dr. Jörg Sommer machen. Mit 48 Jahren erlitt er einen Schlaganfall, der sein Leben von heute auf morgen komplett änderte. Trotzdem führt er heute, fünf Jahre später, dank intensiver physiotherapeutischer Rehabilitation ein zufriedenes Leben.

Hainburg. Es war ein ganz normaler Dienstagmorgen im März 2008, als sich das Leben von Jörg Sommer radikal ändern sollte. Der Manager eines Automobillieferanten brachte wie gewohnt den Wecker mit einem energischen Handschlag um sechs Uhr früh zum Schweigen. „Mir war ein bisschen komisch im Kopf und ich kam nicht so richtig auf Tour“, erinnert er sich. Doch der damals 48jährige dachte sich nichts weiter dabei, trank einfach eine Tasse Kaffee mehr. Ständig unterwegs, auf der Karriereleiter ganz oben, das eigene Haus gerade fertig gebaut, der Sohnemann vier Jahre alt. Sommer führte ein Leben auf der Überholspur. Mit einem Schlaganfall rechnete er nicht. Doch es sollte anders kommen als gedacht. „Ich hatte noch Zeit vor meinem ersten Kundentermin und wollte mich etwas hinlegen. Da hat es mir schon die Beine weggeschlagen“. Seine Frau fand ihn im Schlafzimmer am Boden, holte nicht sofort den Notarzt. Die Folge: zwei Monate Koma, wochenlange Rehaklinik.

Schlaganfall keine altersbedingte Erkrankung

Jörg Sommer ist kein Einzelfall. Laut aktuellen Zahlen der Deutschen Schlaganfall Hilfe leiden in Deutschland mehr als eine Million Menschen an den Folgen eines Schlaganfalls. 43 Prozent von ihnen sind dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen. Davon sind bis zu 14.000 Erwachsene unter 50 Jahre jährlich betroffen. Bis 2025 werden sich insgesamt 3,4 Millionen Schlaganfälle ereignen, so die Prognose.

Für Jörg Sommer war das Leben auf der Überholpur urplötzlich vorbei. „Ich saß im Rollstuhl und konnte einfach gar nichts mehr“, schüttelt er ungläubig  den Kopf. Eine unerträgliche Situation, die er nur schwer begreifen konnte: „ Jeden Tag habe ich darauf gewartet, dass mir jemand eine Pille gibt, damit ich wieder laufen kann. Aber es gab sie mir keiner.“ Aufgeben kam für Sommer dennoch nicht in Frage. Ein Leben als Pflegefall im Rollstuhl auch nicht. Inakzeptabel. Nachdem er in der Rehaklinik keine Fortschritte mehr machte, entließ er sich kurzerhand selbst nach Hause.

Dort wurde ihm erst richtig bewusst, was er alles nicht konnte. Sein Arzt verordnete ihm zweimal wöchentlich Physio- und Ergotherapie, doch Sommer machte er nur wenig Fortschritte. Durch einen Zufall fiel ihm die Broschüre des Physiotherapeuten Helmut Gruhn in die Hände, der sich vor 20 Jahren auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisierte. „Back to Life“ stand da in großen Buchstaben. „Na, das war doch genau mein Motto“, zwinkert Sommer.

Gravierende Versorgungsengpässe

Eine gute ambulante Versorgung zu finden, ist für viele Schlaganfallpatienten schwierig. Denn „nach wie vor bestehen deutschlandweit gravierende Versorgungsengpässe bei der ambulanten Versorgung von Schlaganfallpatienten“, so der Schlaganfallexperte und Physiotherapeut Helmut Gruhn. Durch seine Arbeit als Supervisor auf der Stroke Unit und neurologischen Station des städtischen Klinikums Hanau kennt er die Schwierigkeiten, die Patienten und ihre Angehörigen haben, um eine gute ambulante Versorgung zu erhalten. Die Krankenkassen zahlen nur eine Grundversorgung mit Heilmitteln. Das bedeutet maximal zweimal die Woche eine halbe Stunde Physiotherapie. Viel zu wenig, um den Weg zurück in ein selbständiges Leben zu ermöglichen. Deswegen entwickelte Gruhn vor zehn Jahren das Therapie Konzept „Back to life“ – ein Intensivkonzept zur integrativen Therapie von Schlaganfallpatienten nach der klinischen Rehabilitation, das auf dem Bobath-Konzept beruht. „Die Therapiezeiten sind länger und erfolgen in kürzeren Abständen als in der „normalen“ Physiotherapie“, so Gruhn. Ziel von “Back to life” sei es, die Voraussetzung für einen selbständigen Alltag der Patienten zu schaffen und ihnen damit ein zufriedenes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Jörg Sommer hat die Back to life –Therapie aus eigener Tasche gezahlt und ist mit dem Erfolg sehr zufrieden. Heute, nach fünf Jahren, hat er seine Selbständigkeit fast zurück. Der Rollstuhl verstaubt im Keller und im Januar ging es das erste Mal wieder auf die heißgeliebte Skipiste.