Wettgewinn mit „falschem Fahrrad“

Vor einigen Jahren war Herr Dr. Dinner bei mir zur Rehabilitation im Perzeptionshaus. Ein sehr selbstbewusster, energischer und zielorientierter Mensch von 60 Jahren. Er hatte 10 Jahren davor einen sehr schweren Schlaganfall erlitten, konnte aber wieder Auto fahren und sich selbst versorgen. Aber das gehen viel im schwer und seinen Arm konnte er so gut wie nicht benutzen. Gleich am Anfang machte er mir klar: „Mein Ziel ist am Ende der 4 Tage wieder Fahrrad zu fahren!“ Er wisse, dass es so gut wie unmöglich sei, aber er habe so viel positives von mir gehört. Deswegen habe er auch die 200 km Anfahrt und die Kosten nicht gescheut! Was für eine Forderung ! Wie gehe ich mit diesem Druck um? Sein Körperausdruck sagte mir : Ein „geht nicht“ akzeptiere ich nicht, sonst geht es gleich wieder heim! Was jetzt? Ich wusste das Radfahren nicht möglich sein wird, aber wie sage ich es ihm, ohne ihn zu enttäuschen? Da ich mich selbst sehr gerne als kreativen Chaoten bezeichne, leuchtete eine Idee in meinem Kopf.

Nach der ersten Therapie-Einheit, die ihn sehr überzeugte, sagt ich: „Am 3.Tag , werden wir am Abend zusammen mit dem Fahrrad ins fünf km entfernte Nachbarort fahren. Dort gibt es einen wunderbaren Biergarten. Wir werden gut essen und trinken und dabei Resümee ziehen.“ Er schaute mich ungläubig an!“ Mit einem Dreirad, mit fest halten oder ein Behinderten Fahrrad kommt für mich überhaupt nicht in Frage!“ antwortete er erregt. Als ich ihm vergewisserte, das es zwei Räder gibt, keiner ihn fest hält, beide Hände am Lenker sind und er dabei noch die Gegend genießen kann, verabschiedete er sich sehr nachdenklich. Am Morgen danach berichtete er von einer unruhigen Nacht! Da ich auf Grund meiner Erfahrung ziemlich mutig bin setzte ich noch einen drauf: „Sollte es nicht klappen, wie versprochen, zahle ich die gesamte Zeche, aber wenn es klappt dann zahlen sie!“ Er stimmte hocherfreut zu und meinte das ihm das absolut wert sei.

Mit viel Mut, Optimismus und Freude machten wir uns nun an die Arbeit . Dabei wird mir immer wieder klar, wie wichtig in der Rehabilitation alltagsrelevante Zielsetzungen sind. Dadurch wird unglaublich viel Energie frei gesetzt um Unmögliches möglich zu machen! Jetzt kam der Moment und dazu noch wunderschönes Biergartenwetter! Als ich die Tür zum Fahrrad-Schuppen öffnete war seine Anspannung riesengroß. Dann sah er das besagte Fahrrad mit großen überraschten Augen: Zwei Räder, Lenker, kein Behindertenfahrrad ……EIN TANDEM!!! Es dauerte einen Moment, dann konnte er das Tandem als Fahrrad akzeptieren. Jetzt kam der schwierige Teil: Wird es gelingen, ohne herunter zu fallen?

Es hat geklappt. Wir fuhren an diesem schönen Mai-Abend durch saftige grüne Kornfelder, es roch nach Frühling und die Vögel sangen dazu! Nur ein Problem gab es nach 10 Minuten, sein Gesäß war den Sattel nicht mehr gewöhnt und tat weh…! Aber wir kamen glücklich, ohne Sturz aber mit rotem Popo am Ziel an. Jetzt konnten wir unter Kastanienbäumen, frisches gezapftes Bier und dazu knusprig gegrillte Haxen genießen! Ein herrlicher Abend. Es wurde dann doch ein Bier zu viel. Er zahlte die Zeche und ich das Taxi nach Hause!

Wir haben dann noch viele Jahre erfolgreiche Therapien gemacht, dabei entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft zwischen Patient und Therapeut. Immer wieder kamen wir auf unsere verbindende Tandem-Tour. Zwei Jahre später konnte er dann ein ganz normales Fahrrad fahren!!!

Mit freundlichen Grüßen aus dem Perzeptionshaus

Helmut Gruhn